Einflussfaktoren auf die Leistungen im Marathon- und Straßenlauf
© Lothar Pöhlitz* - 26. März 2020 - Nach einer enormen Verdichtung der Leistungen in der Weltspitze sowohl bei Männern als auch bei Frauen steht der Weltrekord inzwischen bei den Männer bei 2:01:39 und bei den Frauen bei 2:15:25. Weltrekord bedeutet durchgängig 42 x 1000 m in 3:13 min. (= 5,18 m/s) bei den Frauen und 42 x 1000m in 2 : 55 min. ( = 5,71 m/s ) bei den Männern. Zugleich bedeutet es aber auch, dass diese Geschwindigkeiten 42,195 km lang in der Regel in einem Laktatbereich zwischen 2 - 4 mmol/l aufrechterhalten werden müssen (bei Berücksichtigung individueller Unterschiede).
Die bisher beste Lauftechnik sah ich bei Eliud Kipchoge bei seinem Berlin-Marathon-Weltrekord in 2:01:39 als er mehr als die letzten 1000 m auf dem Vorfuß und in den Körperstrukturen fast „Lehrbuchreif“ lief. Das bedeutet, dass im Aufbau des Langstreckennachwuchses der Laufökonomie und wenigstens dem Mittelfußlaufen eine größere Bedeutung zukommen muss.
Die Einflußfaktoren gelten nicht nur für Profis
Diese Prinzipien (Einflussfaktoren) gelten nicht nur für Profis, sondern natürlich auf „abgespecktem Niveau“ auch für alle Leistungsläufer, die bereit und in der Lage sind, den notwendigen Aufwand für ihre neue persönliche Bestleistung zu investieren. Im Ergebnis ihres Trainings ist wohl das Wichtigste, mit sehr viel Realismus ans Werk zu gehen und die notwendigen Strecken zwischen 30-40 km zu absolvieren. Wenn es dann soweit ist, die Zielgeschwindigkeit „machbar“ anzusetzen, sollte das Rennen am besten „defensiv“ begonnen werden.
Eine wichtige, oft unterschätzte Aufgabe im Vorfeld der 12 letzten Wochen einer Marathon - UWV, ist mit der geschwindigkeitsorientierten Weiterentwicklung der persönlichen 10 km - / 15 km - / 21 km - Leistung zu lösen. Stagniert die individuelle Entwicklung der VO2max müssen zeitweilig die Trainingsinhalte auf den Bereich oberhalb der aerob-anaeroben Schwelle (DL-TW, kurze TL > 105 % oder intensive Berganläufe) ausgerichtet werden. Damit verbessert man gleichzeitig die ökonomische Schrittgestaltung.
Die aerobe Schwelle für den Marathonlauf ist individuell und liegt im Laktatbereich zwischen 2-4 mmol/l. Sie wird im Hochleistungstraining von der Geschwindigkeit bei 2 Laktat (vL 2) abgeleitet und muss für Leistungen im Weltspitzenbereich bei den Frauen zwischen 5,2 – 5,4 m/s (3:12 - 3:05 min/km) und 5,6 – 5,9 m/s (2:59 - 2:49 min/km) bei den Männern liegen.
Für Sportler die bisher nur „nationalen Leistungsstandard“ erreicht haben ist eine Steuerung mit einer Testgeschwindigkeit bei Laktat 3 (vL 3) sinnvoll. Diese Geschwindigkeit sollte als Grundvoraussetzung bis 15 km bzw. 45 Minuten aufrechterhalten werden können. Für eine Marathonprognose sollte bei Läufern mit mittlerem Leistungsniveau eine um 0,1 – 0,2 m/s niedrigere Leistungserwartung im Vergleich zur aeroben Schwelle und natürlich in Abhängigkeit absolvierter Marathon-spezifischer Läufe, (am besten jenseits der 35 km) angenommen werden.
Mit einem Ganzkörperkraft- / Athletiktraining werden in der Jugend parallel zum Jahresaufbau die individuellen Schwachstellen beseitigt, die Füße gekräftigt und die Laufökonomie verbessert. Immer wieder verletzt hat seine Ursachen im ungenügenden „Basis-Ganzkörper-Nachwuchstraining“.
Praxiserfahrungen lehren, dass neben der aeroben Ausdauer, die Willensqualitäten (Willensspannkraft), die Dehydration (Flüssigkeitsversorgung) und die mit Langzeit-ausdauerbelastungen im Training und Wettkampf einhergehenden klimatischen Extremsituationen (Hitze, Kälte, Wind, Regen) „trainiert“ werden müssen. Kleidung und die richtigen Schuhe zu den unterschiedlichen Untergründen (z.B. bei Regen) sind für das Ergebnis nicht unbedeutend. Zu oft wird die regelmäßige „Energieversorgung durch die Flaschen“ auf dem Abschnitt bis 30 km unterschätzt und erklärt den Geschwindigkeitsverlust auf dem alles entscheidenden Abschnitt der letzten 7 km.
Keine Extreme – gesund und fit ins Training, in die Höhe und in Wettkämpfe
Der Arzt, der Physiotherapeut oder die eigene Vernunft sind wichtig, wenn Schlafstörungen, ständige Infekte, immer wiederkehrende Pollenallergien, eine verzögerte Erholungsfähigkeit, Muskelverspannungen oder Verletzungen das Training negativ beeinflussen oder sogar unmöglich machen. Deshalb schütze Dich. Warnhinweise geben schon die regelmäßigen Beobachtungen der Herzfrequenz, ein erhöhter Ruhepuls am Morgen oder ein ungewöhnliches Belastungs- / Erholungspuls-Verhalten im Training. Oft sind 2 Tage Pause besser als im Ernstfall 2 Wochen Trainingsausfall.
Bei Vereiterungen (auch im Bereich der Zähne) oder Fieber: Trainingsverbot.
Mit Magersucht kommst Du immer langsamer ins Ziel.
Nach längerem Trainingsausfall gilt die Erfahrung das man etwa so lange Zeit braucht wie man Ausfall hatte bis man am „alten Leistungsstand“ wieder anschließen kann. Mit etwas Geduld, richtiger Ernährung und 8 Stunden Schlaf besteht weniger Gefahr für „Übertraining“ das man in solchen Phasen überhaupt nicht gebrauchen kann. Für diese Zeit gilt – wie auch in normalen Belastungszeiten – im jeweils ersten Drittel eines DL-Trainings defensiv zu beginnen und erst danach oder in der zweiten Hälfte schneller zu laufen. Das gilt auch für Tempolaufprogramme / Intervalle.
Vorrangige Ziele für Langstreckler im Aufbau sind möglichst viele Kilometer zu sammeln und seine Laufgeschwindigkeit bei 2 mmol/l Laktat jährlich im 1 km/h (0,25 m/s) zu erhöhen.
Nach NEUMANN (Leistungssport 3/90) – ergeben sich für die Leistungsstruktur innerhalb der LZA (Wettkampf) folgende Messgrößen
NEUMANN: „Erfolgreiche Trainingskonzepte setzen eine hohe Übereinstimmung von Belastungsanforderungen, Belastbarkeit und Reizverarbeitung voraus. Jede Leistungsentwicklung ist an ein höheres Anpassungsniveau der aeroben und aerob / anaeroben Leistungsgrundlagen entsprechend den Anforderungen der Leistungsstruktur gebunden. Ohne das Erreichen bestimmter Referenzgrößen in der maximalen Sauerstoffaufnahme sind anforderungsgerechte Energieflüsse für Ausdauerspitzenleistungen nicht möglich. Die maximale O2-Aufnahme beträgt bei den weltbesten Ausdauersportlern
- bei Männern 80 – 87 ml / kg-min. und
- bei Frauen 68 – 75 ml / kg-min.
Wird durch das Training keine ausreichend hohe VO2max erzielt, muss bei Wettkämpfen die unzureichende aerobe Basisleistung über die zusätzliche oder vorzeitige Einschaltung des anaeroben Stoffwechsels kompensiert werden.“
Ständiges Ziel innerhalb einer Marathonvorbereitung muss sein eine möglichst lange Zeit in der individuell höchstmöglichen aeroben Geschwindigkeit bis zum Renntempo zu laufen! Dies muss mit der Aufgabe verbunden sein durch entsprechende Trainingsanteile im aerob-anaeroben Übergang auch die aerobe Schwelle auf das höchstmögliche Niveau zu heben.
Spitzenläufer laufen auch längere Läufe schneller
„Anpassungen an immer höhere Belastungen in den Ausdauerdisziplinen setzen auch Fortschritte in der aerob-anaeroben Leistungsfähigkeit (Mitochondrientraining) voraus. In Abhängigkeit von der Wettkampfdauer entscheiden letztendlich optimale Proportionen zwischen Geschwindigkeit, Streckenlängen, speziellem Training. spezieller Kraft, Pausengestaltung, der Regenerationsbeherrschung und dem Beitrag des zentralen Nervensystems über den Leistungsfortschritt.
Das Marathonergebnis wird nicht nur von den auf einer optimalen Basisarbeit möglichen, reizwirksamen langen, aber auch schnellen Tempo-Dauerläufen und marathonspezifischen Läufen jenseits der 30 km, bestimmt, sondern auch von der Energieversorgung der speziell-vorbereiteten Muskulatur durch optimalen Umgang mit Glykogen und Fetten und der Laufökonomie innerhalb von 2-3 Stunden bis ins Ziel. Nicht so selten wird auch übersehen, dass auch Unterdistanztraining z.B. für schnellere 10000er, Geschwindigkeiten jenseits des Marathon-Renntempos (Leistungsprofil der Besten) erforderlich macht“ (Lothar Pöhlitz - LCA vom 22.12.2017)
Trainingsformen in Vorbereitung auf eine Marathon – UWV
Konsequenz für Marathon-Spitzenleistungen Höhentraining
Vom Marathontraining der Weltbesten wurde in den vergangenen Jahren von Trainern, Läufern oder in der Fachliteratur aus aller Welt, auch für uns nicht uninteressant, viel berichtet. Da wurde ein Wochenumfang zwischen 160 – 240 km – davon etwa 20 – 30 % im Renntempo (RT) oder schneller, als normal genannt. Und für viele gehörte das in den Wochen mehrfache Athletik- und spezielle Kraftausdauertraining nach dem „UMO-Prinzip“ auch dazu. Trotzdem konnte man bei den Marathon-Events bis 2018 immer noch, nicht nur unseren beträchtlichen Rückstand, sondern auch den praktischen Unterschied in der „Leichtlauftechnik“ der Afrikaner und die körperlichen Kraft- und Lauftechnikdefizite von Europäern oder auch unserer deutschen Läufer, beobachten.
Mit den „Long fast-runs“ um die 40 km haben Profis den Schlüssel
Um die 5 - 10 Minuten bis zur Weltspitze zu verkürzen müssen sich Marathon-Profis unter professionellen Bedingungen (d.h. beispielsweise auch Trainer-begleitung bei den Long runs) und Team-Begleitung für Training und Rennen, schrittweise, d.h. aber im Vergleich zur Vergangenheit schneller, dem nachfolgenden, zeitaufwendigen, professionellen Training der Weltbesten nähern:
* Höhentraining bis 3000 m Höhe und Höhenketten
Ohne Höhenketten oder längere Höhen-Aufenthalte sind Spitzenleistungen im Marathonlauf kaum möglich. Ein letztes Höhentraining über 3 - 5 Wochen innerhalb einer Höhenkette sichert im ersten Teil der UWV die Weiterentwick-lung der aeroben Ausdauergrundlage (vL 2).
* Long Jog bis zum Überdistanztraining zur Fettstoffwechselentwicklung
(35 – 60 km bei 70 à 80 % v. RT)
* Marathon - Zielgeschwindigkeit immer länger (TDL von 15 bis 30 km)
* MSL - Marathonspezifische Läufe ab 35 km zwischen 80-90 % vom RT
* Tempovariationen in langen DL bis 35 km mit 3 – 5 km Abschnitten im Renntempo
* DL - crescendo bis 35 km mit systematischen Geschwindigkeitsanstieg:
z.B. 15 + 10 + 6 + 4 km à letzte 4-5 oder auch einmal nur 2 km > RT
* DL öfter und immer länger an der Laktatschwelle (vL 2-3)
* DL-TW bis zu 10 x 1000:1000 m zwischen 95-105 % vom RT
oder auch 10 x 2000 m bis 4 x 5000 m mit kurzen Laufpausen
* Intervalltraining oder Fahrtspiele mit 3´- 9´ Tempoeinlagen schneller als RT
(TL - Summe bis 25 km > RT)
* Lange DL mit 2 unterschiedlichen Geschwindigkeits-Hälften
(2.Hälfte schneller bzw. auch 1. Hälfte schnell + 2.Hälfte sehr lang + ruhig)
* 1.Woche: 12 km DL2 + 4 km im RT
2.Woche: 14 km DL2 + 6 km im RT
3. Woche: 20 km DL2 + 10-12 km im RT
* Unterdistanztraining ausgerichtet auf 10000 m / 21,1 km
(~105 - 110 % v. RT)
* Straßenlauf - Wettkämpfe, 15-30 km Test- / Kontrollläufe im RT innerhalb hoher Wochenumfänge bereiten auf die mentalen Anforderungen von Marathon-Rennen vor, der Wille macht Sieger
* Bergan- Kraftausdauer-Training in Abhängigkeit von zur Verfügung stehenden Geländeprofilen
* .......und dazu eine optimale Ernährung in und außerhalb der Rennen
In einer Marathonvorbereitung muss vorbereitend das Gefühl für die 5 - 7 – guten 40 km-Läufe in der UWV erarbeitet werden damit der Organismus in der Endphase des großen Rennens – auf den letzten 7 km – noch die erforderliche Energie liefert. Wer schließlich auch noch 5 x (2000 + 1000 m) im Renntempo mit 400 / 200m Trabpausen absolviert hat kann sein Jahresziel mit viel Selbstvertrauen in Angriff nehmen.
Nicht außergewöhnlich und dann „tödlich für die mentale Stärke“ sind Blasen an den Füßen, wenn die Wettkampfschuhe nass und nicht eingelaufen sind
Der Ernährung im Grenzbereich der Belastungen vor und im Rennen kommt eine außerordentliche – oft beobachtete unterschätzte – Bedeutung zu. Da jeder Körper anders ist sollten für Spitzenleistungen auch individuelle Lösungen gesucht und immer wieder neu erprobt werden. Solange bis eines Tages das perfekte Rennen möglich wird.
„Alles ist planbar, für ein perfektes Rennen, auch um unter zwei Stunden zu laufen. Ein gutes Team, gutes Coaching, gute Schuhe, gutes Wetter, gute Straßen und gute Ernährung. Dann kann es klappen." (Eliud Kipchoge 2019 – 2:01:39 WR)
..........und nach dem Rennen und der „After-Race Massage“ helfen ein kleiner Spaziergang und die möglichst schnelle Auffüllung der Energiedepots, auch wenn das zweite Rennen des Jahres für Profis, optimal vorbereitet, erst einmal durch hilfreiche, intensive kürzere Straßenrennen unterstützt werden soll.
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Für neue Ziele – zunächst vielleicht erst einmal um 2:05 bzw. 2:20 Stunden - braucht man junge, aerob begabte Läufer und Läuferinnen mit der Bereitschaft zu harter, professioneller „Marathon-Arbeit“ (s.o.) ohne die eine Annäherung an das derzeitige Weltniveau (um 2:05 M / 2:20 F) nicht möglich ist.
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* Lothar Pöhlitz 1980-1998 DLV-Bundestrainer Lauf - u.a. Teamleiter Marathon / Straßenlauf / seit 2006 Leichtathletik Coaching Academy